Ruth Winkelmann ist eine beeindruckende Frau. Davon konnten sich Anfang Dezember 2023 unsere achten Klassen sowie Schülerinnen und Schüler der K2 überzeugen. Die inzwischen Fünfundneunzigjährige ist seit mehr als 25 Jahren als Zeitzeugin aktiv und berichtet über ihre Kindheit und Jugend in Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus. 

Frau Winkelmann wurde im September 1928 geboren und wuchs als Tochter eines jüdischen Vaters und einer Mutter aus christlichem Haus im Norden Berlins auf. Bei ihrem Besuch auf Schloss Torgelow erzählte sie Anekdoten aus einer glücklichen, behüteten Kindheit – wie sie sich beispielsweise über den Groschen freute, den der Opa ihr ab und an zusteckte, von dem sie sich einen Apfel und einen „Nappo“-Riegel kaufte. Letztere konnten unsere Schülerinnen und Schüler selbst kosten.

In diese Welt brach der Nationalsozialismus herein, der die jüdischen Großeltern ihres Geschäfts und ihres Hauses beraubte und die Ehe der Eltern ohne deren Wissen annullierte. Auch die Ereignisse der Reichspogromnacht waren ein Schock für die Familie: Frau Winkelmann berichtete von den beschmierten Fassaden und zerstörten Geschäften, den brennenden Synagogen und den Angriffen auf jüdische Mitmenschen auf offener Straße. 

Sie beschrieb, wie sich ihr Leben zunehmend veränderte und ihre Kindheit ein Ende nahm. Um der drohenden Deportation zu entgehen, hielten sich Mutter und Tochter versteckt. Wir hörten von den Entbehrungen ohne fließend Wasser, Strom oder Heizung, von den Bombennächten im Luftschutzbunker und den Zwölfstundenschichten der Dreizehnjährigen an der Nähmaschine. Frau Winkelmann berichtete auch von Freundlichkeit, die sie erfahren hat: von dem Versicherungsbeamten, der ihnen die Laube in Wittenau als Versteck anbot, oder der Frau des Schwimmlehrers, die das jüdische Mädchen nicht verriet. 

Wir erfuhren aber auch das Schicksal ihrer Angehörigen, die deportiert und umgebracht wurden. Ihr Vater starb 1943 in Monowitz, einem Nebenlager des Konzentrationslagers Auschwitz.

Frau Winkelmann hat ihre Erlebnisse in dem Buch „Plötzlich hieß ich Sara – Erinnerungen einer jüdischen Berlinerin 1933-1945“ aufgeschrieben. Seit vielen Jahren hält Frau Winkelmann Vorträge an Schulen in ganz Deutschland und beantwortet die Fragen der Schülerinnen und Schüler. Auch unsere ca. 60 Torgelower haben ihr gebannt zugehört und viele Fragen gestellt. 

Obwohl das Thema erst ab Klasse 9 auf dem Lehrplan steht, hatten sich unsere Schülerinnen und Schüler der achten Klasse intensiv auf das Gespräch vorbereitet. Es war für sie spannend zu erfahren, wie das Leben Ruth Winkelmanns im Versteck aussah. Woher bekam sie zu essen? Was tat sie, wenn sie nicht arbeiten musste? Wie erlebte sie den Krieg und sein Ende in Berlin? Was war mit ihren jüdischen Verwandten geschehen? Und es waren nicht nur die historischen Details, die die Schüler beschäftigten: Empfindet sie den Wunsch nach Vergeltung? Mit welchen Gefühlen blickt sie auf aktuelle nationale und internationale Konflikte? Und was erhofft und erwartet sie von der heutigen Schülergeneration? Auf diese letzte Frage antwortete Frau Winkelmann mit den folgenden Ratschlägen: “Denkt liberal und tolerant, nicht radikal – und genießt die Natur um euch.”

Wir danken Frau Winkelmann für diese in jeder Hinsicht bereichernde Erfahrung und dass sie es unseren Schülerinnen und Schülern ermöglicht hat, Geschichte aus erster Hand zu erfahren.