Vor 28 Jahren, am 03.10.1992, besuchte Mario Lehmann gemeinsam mit seinem Vater Schloss Torgelow in Torgelow am See zum allerersten Mal. Das haben wir zum Anlass genommen, um einen Blick zurückzuwerfen. Entstanden ist ein Feature über eine Idee, über Mut, über das Zusammenwachsen einer Internatsfamilie. 

Nur vier Jahre nach der Deutschen Einheit ging im Jahr 1994 die erste private Internatsschule in den neuen Bundesländern an den Start. Ein Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte gab den Ausschlag für eine mutige Idee. Schulgründer Helge und Mario Lehmann - Vater und Sohn – wollten in Mecklenburg-Vorpommern ein Internat an den Start bringen, das motivierte und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördert. Eine waghalsige Idee, denn der Standort war alles andere als ideal, um Familien aus ganz Deutschland anzusprechen. Dünn besiedelt, verkehrstechnisch schlecht erschlossen und weit entfernt von den Großstädten Berlin und Hamburg. Davon ließ sich Familie Lehmann aber nicht beirren. Mit damals 16 Millionen DM wurde aus dem Schloss am Torgelower See und dem alten Inspektorenhaus der Kern des heutigen Internats. Ein neues Schul- und Internatsgebäude, eine Sporthalle und weitere Sportanlagen kamen hinzu. Der Nachteil des Standorts wurde durch zwei Schulbusverbindungen am Wochenende nach Berlin und Hamburg ausgeglichen. 

„Wir glaubten an unsere Idee, wussten aber nicht, ob auch nur eine Schülerin oder ein Schüler kommen würde, um unser Internat zu besuchen. Es war wie die Geschichte mit dem Huhn und dem Ei: Ohne Schule keine Schüler, ohne Schüler keine Schule. Wir haben einfach drauflos gebaut und gehofft, dass die Eltern Vertrauen in uns setzen“, erinnert sich Mario Lehmann, der heute die Geschäfte der Schule führt. Erst sechs Monate vor der Eröffnung kam die erste Anmeldung und dann ging es richtig los. Zum Auftakt im August 1994 waren es genau 100 Schülerinnen und Schüler und 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Schloss Torgelow gemeinsam an den Start brachten.

Ein Internat für kluge Köpfe

Schloss Torgelow ist seither mächtig gewachsen. Heute begleiten 90 Mitarbeitende unter der Leitung von Familie Lehmann 270 Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg zum Abitur. Sie kommen aus ganz Deutschland und aus dem Ausland. Heute gehören Torgelower Abiturientinnen und Abiturienten regelmäßig zu den besten im Land. Das liegt sicher auch daran, dass die Internatsschule ein Leuchtturm für Schülerinnen und Schüler geworden ist, die Lust auf eine leistungsorientierte Förderung haben. 

Schloss Torgelow bietet hier ideale Voraussetzungen: Klassen mit höchstens 12 Schülerinnen und Schülern, die dem Einzelnen mehr Aufmerksamkeit garantieren, mehr als 80 wöchentlich angebotene außerschulische Projekte aus den Bereichen Wissenschaft, Kultur und Sport und eine leistungsorientierte Atmosphäre, in der sich die Schülerinnen und Schüler herausgefordert fühlen. Der Durchschnitt im landesweiten Zentralabitur zeigt regelmäßig die „1“ vor dem Komma. 2020 - im „Coronajahr“ - lag der Schnitt bei 1,8. 

Internatsfamilie aus dem Westen möchte in den neuen Bundesländern Internatsschule für begabte Schüler gründen

Die Grundlage für den heutigen Erfolg haben Lehmanns Anfang der 90er-Jahre gelegt. Motiviert durch die Aufbruchsstimmung in den neuen Bundesländern und nach einem Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte reifte bei Helge und Mario Lehmann die Idee, gerade dort eine Internatsschule zu eröffnen. Beide leiteten bereits gemeinsam das familieneigene Kurpfalz Internat in Bammental bei Heidelberg. Die Internatsschule hatte Erna Lehmann 1961 für ihren Sohn Helge gegründet, der in der Pubertät in eine schulische Krise geraten war. Ihr damaliges Erfolgskonzept: kleine Klassen (max. acht Schüler), mehr Zeit für jeden und individuelle Förderung, um Verlorenes aufzuholen. Nachdem Erna Lehmann die Internatsschule an ihren Sohn, mittlerweile studierter Psychologe, übergeben hatte und ihr Enkel Mario Lehmann, studierter Jurist, ins Familienunternehmen eingetreten war, entstand die Idee, eine weitere Internatsschule für Schülerinnen und Schüler zu gründen, die mehr von Schule erwarteten. 

„Mir schwebte eigentlich ein Standort in Thüringen vor“, erinnert sich Mario Lehmann. „Das hätte es für das Pendeln zwischen den Standorten leichter gemacht. Aber mein Vater kehrte 1992 voller Begeisterung aus einem Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte nach Heidelberg zurück und überzeugte mich, dass es keinen besseren Platz für ein Internat gebe.“

Eisiger Empfang mit klarer Ansage an die westdeutschen Unternehmer

Das geeignete Objekt fanden Vater und Sohn ca. 10 Kilometer von Waren an der Müritz entfernt in Torgelow am See. Die Begrüßung eines technischen Mitarbeiters der staatlichen Versicherung der DDR, bisher Träger von Schloss Torgelow, fiel beim ersten Besuch am 03. Oktober 1992 eher kühl aus. Das Misstrauen gegenüber Investoren „aus dem Westen“ war ihm deutlich anzumerken und wurde klar kommuniziert: „Wenn Sie uns Mitarbeiter nicht übernehmen, fackeln wir das Schloss ab.“ Nach dem Zuschlag durch die Treuhandanstalt übernahm Familie Lehmann nicht nur den drohenden, sondern alle Mitarbeiter und machte sich gemeinsam mit ihnen an die Renovierung des Schlosses und des „Gelben Hauses“, das ehemalige Haus des Gutsinspektors.

Lehmann legt Wert darauf, dass das Schloss „kein Schnäppchen“ war: „Wir haben 2,4 Millionen DM für das Schloss und das Gelände bezahlt. Der Preis war angemessen, denn das Schloss war eines der besterhaltenen Schlösser im Land. Als Bildungszentrum der staatlichen Versicherung war es von den Mitarbeitern liebevoll gepflegt worden und der Rechtsnachfolger, die Allianz AG, hatte ebenfalls investiert. Nur das alte Fachwerkhaus des Inspektors war abrissreif. Da mein Vater aber selbst in einem Fachwerkhaus lebt, kam Abriss für uns gar nicht in Frage.“

Tatsächlich ist das „Gelbe Haus“, das heute die Mensa der Schule ist, ein wahres Schmuckstück mit besten Blicken auf den Torgelower See. Erst 2018 wurde das Gebäude durch einen Glasanbau und eine neue Terrasse erweitert. Heute ist das „Gelbe Haus“ wohl eine der schönsten Schulmensen Deutschlands. 

Die Mensa ist aber nur eines von vielen Projekten, die seit 1994 zu einer ständigen Erweiterung der Kapazitäten geführt haben. 2006 wurden neue Schulräume gebaut und die Sporthalle erweitert, 2008 ein Kunstrasenplatz eröffnet und seit 2009 haben die Schülerinnen und Schüler der Unterstufe im Haus der Zukunft – einer Burg mit vier Zinnen – ein eigenes Domizil mit Rutsche, Toberaum, Küche, Aquarium und Außenspielplatz. Nicht ohne Stolz sagt Lehmann über dieses Projekt: „Es ist ein Haus, in dem man sich als Kind einfach wohl fühlen muss.“ 

Ein kleines Wunder am Ufer des Torgelower Sees

„Es war eine spannende und manchmal auch wilde Zeit“, erinnern sich Helge und Mario Lehmann an die Anfangsjahre von Schloss Torgelow zurück. „Wir haben ja eine Internatsschule ohne Handy, ohne Internet und am Anfang sogar ohne einen Festnetzanschluss gegründet. Die Ausstattung haben wir noch aus dem Katalog bestellt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Und dann mussten wir ja auch noch Eltern und Schülerinnen und Schüler überzeugen, an unser Projekt zu glauben. Am Anfang konnten wir nur eine große Baustelle präsentieren. Der Vorteil war unsere Erfahrung. Wir konnten damals ja schon auf 30 Jahre Internatserfahrung am Kurpfalz Internat zurückblicken, und mit Friedrich Buckel kam ein erfahrener Schulleiter aus dem Ländle zu uns. Trotzdem war es fast ein Wunder, dass wir es geschafft haben, 100 Schülerinnen und Schüler für unser Projekt zu gewinnen.“

Das Vater-Sohn-Gespann aus Baden-Württemberg musste sich aber auch das Vertrauen der übernommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der politischen Entscheidungsträger in Mecklenburg-Vorpommern verdienen.

„Am Anfang kämpften wir gegen viele Vorurteile, da einige „betrügerische Glücksritter aus dem Westen“ hier im Osten verbrannte Erde hinterlassen hatten. Das hat uns persönlich sehr geärgert und wir haben verstanden, dass wir uns das Vertrauen besonders verdienen müssen. Diese Herausforderung haben wir gerne angenommen, weil Fairness, Ehrlichkeit und Redlichkeit schon immer die zentralen Werte unseres unternehmerischen Selbstverständnisses waren“, beschreibt Mario Lehmann die Stimmung der Aufbaujahre von Schloss Torgelow nach der Wiedervereinigung. 

Ein Erfolgsprojekt der deutsch-deutschen Vereinigung

Heute blickt die Familie Lehmann stolz auf die harten Anfangsjahre zurück. „Wir freuen uns, dass wir mit unserem Internatsgymnasium ein Erfolgsprojekt der deutsch-deutschen Vereinigung sind. In Torgelow leben wir seit 1994 das Zusammenwachsen im Kleinen. In den Anfangsjahren war Ost-West noch ein Thema, heute spielt das keine Rolle mehr. Auch unser Team hat von Anfang an sehr engagiert und kollegial zusammengearbeitet, unabhängig davon, in welchem Teil Deutschlands man geboren wurde. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Wiedervereinigung wird einem noch einmal bewusst, wie sehr auch wir auf Schloss Torgelow zu einer Internatsfamilie zusammengewachsen sind.“

„Einmal Torgelow, immer Torgelow. Das gilt für Schüler und Mitarbeiter gleichermaßen“, sagt Lehmann mit einem stolzen Lächeln. 

Die Erfahrungen aus den letzten 30 Jahren sind für den Schul- und Internatsträger eine wichtige Antriebsfeder, Schloss Torgelow weiter zu entwickeln und das pädagogische Konzept zukunftsfähig zu gestalten. Auf Schloss Torgelow ist die Digitalisierung schon angekommen. In den Klassenzimmern ersetzen moderne interaktive Displays die herkömmlichen Kreidetafeln, die Nutzung von Notebooks und Tablets gehört zum Alltag. Eine digitale Plattform steuert die Abläufe in Schule und Internat und gibt Lehrern und Schülern eine digitale Struktur für ihre Zusammenarbeit.

Mario Lehmann gefällt es in Torgelow am See, nur manchmal bedauert er die idyllische Lage dann doch: „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir schnelles Internet für Torgelow am See und Schloss Torgelow wünschen. Das ist leider eine große Herausforderung für uns und kann auch nicht mit viel Pioniergeist von uns selbst gelöst werden.“

Wie dringend notwendig der Breitbandausbau für die Region wäre, hat sich gerade im letzten März im Schullockdown gezeigt. Während der Corona-Pandemie setzte Schloss Torgelow den Unterricht als Videokonferenz fort. Da einige Lehrerinnen und Lehrer zuhause nicht über genügend Bandbreite verfügten, mietete Lehmann Räume in einem geschlossenen Warener Hotel mit schnellem Internet an. Acht Torgelower Lehrer unterrichteten von dort.

Lehmann ist stolz auf das Krisenmanagement: „Wir haben schnell reagiert und sind kreative Wege gegangen. Für die Klassen 5-12 haben wir den Unterricht nach regulärem Stundenplan fortgesetzt, statt im Klassenzimmer trafen sich alle auf der Plattform GoToMeeting im Videokonferenzraum von zuhause aus. Das hat hervorragend funktioniert und wir konnten bis auf Sport alle Fächer durchgehend unterrichten. Nach der Wiederinbetriebnahme haben wir dann einige Risikolehrer über Video ins Klassenzimmer geholt.“ Das Team von Schloss Torgelow hat auch in der Krise bewiesen, dass Schloss Torgelow eine ganz außergewöhnliche Schule ist. 

Wir sagen „Danke“

30 Jahre Wiedervereinigung und der Besuch vor 28 Jahren in Torgelow am See sind außerdem ein willkommener Anlass, um Danke zu sagen. „Wir möchten uns von ganzem Herzen bei allen bedanken, die Schloss Torgelow auf dem Weg von der Idee bis heute begleitet und unterstützt haben. Die große Schloss-Torgelow-Familie macht unsere Internatsschule in Torgelow am See zu einem besonderen Ort und zu einer Schule, wie Schule sein sollte“, sagt Mario Lehmann und man merkt ihm an, dass er stolz ist auf die Erfolgsgeschichte seiner Internatsschule.