Goethes Klassiker zählt zu den auf deutschen Bühnen am häufigsten aufgeführten Stücken. Die Schweriner Theatermacher versuchen sich an einer eigenwilligen Inszenierung. Martin Nimz legt es auf eine Provokation an. Sein Faust steht im krassen Gegensatz zu den üblichen Interpretationen dieser Figur. Würde Goethe hier noch sein Werk erkennen? Der nach Wissen und Erkenntnis strebende klassische Faust, der an seinen Zweifeln zu zerbrechen droht, wird in Schwerin zu einem gescheiterten Wissenschaftler und einem verwahrlosten, widerlichen alten Mann, dessen Absturz als Mensch in der Vergewaltigung Margaretes endet. Ein bodenloser Abgrund tut sich auf. Amoral und Sex als Publikumsmagnet? Ein Muss einer heutigen Inszenierung? In Schwerin wird Fausts Ende zu einer moralischen Talfahrt der heutigen Gesellschaft! Onanieren als Lösung des Problems? Die Inszenierung macht Angst.

Ein Lichtblick das von Hannah Ehrlichmann gespielte Gretchen, eine starke junge Frau mit viel Selbstbewusstsein, kein duldsames Wesen, kein naives Mädchen mehr. Hart und hager schaut sie aus. Eine Figur, die im Gegensatz zum abstoßenden Faust (Andreas Anke) jedoch Sympathien weckt. Ihrem Schicksal kann Margarete aber auch auf der Schweriner Bühne nicht entgehen. Ihre Geschichte wird hier bis zum bitteren Ende erzählt. Allein, von Faust und Mephisto verlassen, bedeckt sie in einem endlos scheinenden Akt ihren Körper mit weißer Farbe.

Das Bühnenbild ist schlicht und besteht aus einer türkisfarbenen Skulptur, die an eine Achterbahn erinnert. Nach der Pause ist die Bühne vollkommen leer. Jegliche Requisiten fehlen. Die Kostüme der Schauspieler wiederspiegeln die inneren Gefühle der Darsteller.

Der szenische Minimalismus der Aufführung lässt die darstellerische Kraft der drei Hauptpersonen wirken. Ihre klare Sprache und eindeutige Gesten haben eine große Intensität. Besonders hervorzuheben ist hier die spielerische Leistung von Julia Keiling, die den Mephisto verkörpert – schlagfertig und gnadenlos. Und trotzdem ein Fabelwesen mit eigenartigen Riesenohren.

Drei Kinder, die mal Engel sind oder sich die Rolle des Lieschens teilen, ergänzen das Spiel der Erwachsenen. Lieschen, das Spiegelbild der gesellschaftlichen Normen, wird von „unschuldigen“ Kindern gespielt.

Der Schweriner Faust – eine widerspruchsvolle Inszenierung, die viel Grund zu heißen Diskussionen bietet.

(Eine Rezension von Elisabeth Brodowski – K1)