Deutsche Schülerakademie in Torgelow

 

 

Während die Torgelower Schülerinnen und Schüler in den verdienten Sommerferien weilten, nutzte die Deutsche Schülerakademie, die Möglichkeiten, die der Torgelower Campus bietet, für ein Ferienprogramm der besonderen Art.

Lesen Sie hierzu einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.09.2007:

"Du weißt es doch"

Die Multinationale Schülerakademie für Begabte in Torgelow / Von Heike Schmoll

TORGELOW, im August. Am Torgelower See bei Waren an der Müritz scheint die Zeit stehengeblieben zu sein - stille Wälder, ein riesiger Binnensee - wie in einem Fontane-Roman. Direkt am See, mit eigenem Bootssteg, liegt das Torgelower Schloss, in dem sich seit 1994 eine private Internatsschule für begabte Schüler befindet. Hier fand in diesem Jahr die erste Multinationale Schülerakademie für Begabte unter Einschluss der baltischen Länder statt. Während der Ferienzeit bezogen die Teilnehmer die Zimmer der
 Internatsbewohner und kamen in den Genuss neuer tafelloser Klassenzimmer mit Smartboards, Beamern und Computertechnologie. Unterrichts- und Arbeitshilfen können über das schulinterne Wireless-Lan abgerufen und bearbeitet werden, es gibt eine Standleitung ins Internet. Drangvolle Enge herrscht während der Schülerakademie allerdings in den Unterrichtsräumen, denn sie sind auf die Klassenstärke des Internats mit höchstens zwölf Schülern ausgerichtet.

"Dieses Niveau könnten wir unseren Pflichtchemikern, den Medizinstudenten, nie zumuten", sagt einer der Kursleiter des Chemiekurses, der am Institut für Organische Chemie der RWTH-Aachen beschäftigt ist. Warum er sich den Stress für ein Anerkennungshonorar in den Semesterferien zumutet, anstatt sich seiner
 Dissertation zu widmen, steht für ihn fest: Es macht ihm Freude, mit einer kleinen Gruppe lernwilliger Schüler zu arbeiten und sie fachlich und persönlich weiterzubringen. Die Nächte sind kurz und die Tage anstrengend.
 
 Wer eine Gruppe oder gar die Akademie leiten will, muss robust sein und einen Hang zum Berufsjugendlichen besitzen, sonst wird er das Programm nicht 16 Tage durchstehen. Die Teilnehmer werden von ihren Schulen vorgeschlagen. In der Regel sind es hervorragende Schüler, die sich aus dem Etikett "hochbegabt" kaum etwas machen.

Einem der jüngsten Teilnehmer - er ist 14 und hat zweimal die Klasse übersprungen, sind seine Talente offensichtlich doch zu Kopfe gestiegen. Jedenfalls erzählt er mit erhobener Stimme, er sei ein "underachiever" gewesen, also einer, der weit unter seinen Möglichkeiten bleibt, weil er schulisch nicht ausreichend gefordert wurde. Nach einem Schulwechsel habe er nun fast einen Durchschnitt von 1,0 erzielt, meint er, und verweist
 auf acht Intelligenztests. Eine andere Schülerin erkundigt sich mehrfach bei der Akademieleitung, was sie unternehmen müsse, um für die Studienstiftung vorgeschlagen zu werden. Denn die Schülerakademie hat das Vorschlagsrecht für sechs Kandidaten.

Doch die meisten treten bescheiden auf, wollen von Hochbegabung nichts wissen, sind unsicher und trauen sich weniger zu, als sie leisten könnten. Dazu gehört ein junger Pole, der auf höchstem sprachlichem Niveau über den Niedergang der Hanse referiert. Im Geschichtskurs über den historischen Wirtschaftsraum der Hanse sitzen viele osteuropäische Schüler - während der Gruppenarbeit wird eilig in Wörterbüchern geblättert, doch dabei geht es eigentlich nur um Spezialbegriffe.
 Auch er hätte lieber am Geschichtskurs teilgenommen, berichtet einer der Polen im Chemiekurs, der diesesMal die Zusammensetzung von Lebensmitteln untersuchte. "Unsere Schule hat nicht einmal ein Chemielabor", sagt er und blickt sehnsüchtig auf den hervorragend ausgestatteten Dunstabzug im Torgelower Schloss.
 
 Etwas unbeteiligt lehnt ein großer schwerfälliger Junge aus Litauen an der Tür. Er könne nicht so frei sprechen, sagt er entschuldigend, denn das am folgenden Tag zu haltende Referat liege ihm im Magen. Er hat die nötige Vorbereitung, die von den meisten zu Hause begonnen, zuweilen sogar beendet wurde, erst während der Akademie in Angriff genommen. Die Schüler aus den baltischen Ländern bringen gerade in Chemie geringere Voraussetzungen mit. Die Gruppenleiter müssen mit sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zurechtkommen, denn im Chemiekurs gibt es auch Mädchen, die zu Hause einen Leistungskurs belegt haben und die Jungs mit Leichtigkeit überragen.

Selbst unter den hervorragenden Schülern sind aber nur die wenigsten in der Lage, selbständig zu arbeiten. Auch wenn sie sich eigentlich ihrer Sache recht sicher sind, vergewissern sie sich noch einmal beim Kursleiter. "Du weißt es doch, dann mach es doch", ermuntert dieser. Einer jungen Estnin fallen fast die Augen zu - sie hat am Vorabend nach einem prall gefüllten Tag noch am Bauchtanz teilgenommen und leidet nach zwölf Tagen wie viele andere an der Übernächtigung. Der Tag beginnt mit Joggen um 6.45 Uhr, nach dem Frühstück findet das Plenum statt, in dem zunächst eine Presseschau der verschiedenen Länder an die Wand geworfen und von den Schülern vorgestellt wird, dann wird über das Tagesprogramm gesprochen, anschließend beginnt der Unterricht. In den Unterrichtspausen finden Fußballturniere, Ensembleproben für das öffentliche Konzert, Bootsfahrten und Ausflüge statt.

 
 Für viele begabte Schüler ist es das erste Mal, dass sie sich dem Wettstreit mit anderen Gleichaltrigen aussetzen müssen. Für die meisten wird die Schülerakademie zu einem prägenden Erlebnis, bei nicht wenigen führt sie zum Nachdenken über Selbst- und Fremdwahrnehmung der eigenen Begabung. Eine wissenschaftliche Begleitstudie hat ergeben, dass die Schüler durch die Schülerakademie zusätzlich motiviert werden und sie mit gestärktem Selbstvertrauen verlassen.

In diesem Sommer hat die Deutsche Schüler-Akademie unter Federführung der Stiftung Bildung und Begabung in Bonn sieben Akademien für deutsche Schüler angeboten, hinzukommen zwei multinationale in Metten und Torgelow. In Metten nehmen Schüler aus Rumänien, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Ungarn und Deutschland teil, in Torgelow Schüler aus Estland, Lettland, Litauen, Polen und Deutschland. Die beiden multinationalen Akademien mit jeweils 64 Schülern werden von der Duisburger Haniel Stiftung finanziert, die übrigen Akademien vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie vom Stifterverband und anderen Stiftungen. Der Teilnahmebeitrag konnte deshalb bei 550 Euro für die deutschen Teilnehmer gehalten werden, was etwa ein Drittel der tatsächlichen Kosten für 16 Tage Unterkunft, Verpflegung, Unterricht und Unternehmungen ausmacht. Die osteuropäischen Schüler bezahlen nur einen
 Bruchteil davon.

Die größte Gruppe unter den Osteuropäern kam mit 22 Schülern aus Polen. Aus Estland kamen sechs, aus Lettland sieben und aus Litauen fünf. Während der morgendlichen Presseschau im Plenum haben sie Einblicke in ihre Länder gegeben - häufig auf humorvolle Weise. Die sogenannten Ländertage mit einem landestypischen Essen und entsprechenden Unternehmungen, auch Schnupper-Sprachkursen für die übrigen Teilnehmer, geben ihnen weitere Gelegenheit, sich und ihr Land vorzustellen. Im Idealfall werden die Teilnehmer aus den baltischen Ländern zu Advokaten der Schülerakademie im eigenen Land. Die Stiftung ist auf direkte Kontakte an den Schulen angewiesen, denn sie hofft auf eine weit größere Beteiligung aus dem Baltikum.